Einen Weg aus der (Erschöpfungs-)Depression finden

Interview
Möchtest du wissen, wie der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik bei einer Depression helfen kann? Oder fragst du dich, wie es einigen Betroffenen einer Depression innerlich geht? In diesem Interview teilt der ehemals betroffene Matthias Plack seine Erfahrungen, als er an einer Depression erkrankt war.
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Zur Problemlösung gehört erstmal, das Problem zu erkennen. Der Weg, das Problem dann zu lösen und aus so einer Krise herauszukommen, ist mindestens genauso schwer, oder?

Ja, tatsächlich ist es auch schwer, das Problem herauszufinden. Das ist ja wie ein Netzwerk an Problemen. Und es ist tatsächlich das Bild, dass vielleicht die ein oder andere deiner stabilen Säulen wegbricht: Körperlich funktionierte ich nicht mehr. Dann wurde, als der Tiefpunkt da war, eine schwere Depression diagnostiziert. Dann war ich gute 9 Wochen auch in einer psychosomatischen Klinik, um mich erst einmal zu beruhigen und zur Ruhe zu kommen. Und ich hatte dann immer unterschiedliche Probleme. Eins der größten Probleme am Anfang war, überhaupt erst einmal zu akzeptieren, dass ich mich ausruhen sollte. Also, ich habe gute 5 Wochen in dieser Klinik gebraucht, um überhaupt erstmal anzukommen, weil ich so in meinem Modus war. Und auch so viel Energie in Richtung Lösung hatte, dass mich das davon abgehalten hat, zum wirklichen Problem zu kommen. Und das ist für mich eine ganz essentielle Erkenntnis, dass das Thema (tiefe) Ruhe ein ganz wichtiger Punkt ist, wenn man die Zeichen von seiner Seele oder von seinem Körper bekommt. Am Ende ist es eine ganzheitliche Kommunikation. Und das war so das erste Problem. Und dann ist langsam aufgetaucht, woran das liegen könnte. Was ich aus diversen Dingen gemacht habe, die ich früher erlebt habe. Und ob ich vielleicht Handlungsalternativen bekommen könnte. Das ist jetzt 5 Jahre her. Und ja, ich arbeite immer noch an Handlungsalternativen, aber ich habe lieber die Hand am Steuer. Und im Grunde genommen habe ich jetzt mehr inhaltliche Kraft als zuvor da war, d.h. das gibt mir ganz gut Motivation.

Gehen wir nochmal eine Stufe zurück: Wann hast du überhaupt angesprochen, dass etwas los ist? Oder waren es andere Menschen, die auf dich zugekommen sind?

Also, meine Frau hat mir schon 2011 einen Kurs zum autogenen Training geschenkt. Das war so der erste zarte Hinweis. Das habe ich auch gemacht und das war auch soweit ganz gut. Aber es ist tatsächlich so, dass es eine Mischung aus Rückmeldungen, die man bekommt und eigene Gedanken ist. Und bei mir war mein Leister und dieses perfekt sein so tief drin, dass ich das überhaupt nicht hinterfragt habe. Weil mich das ja ein Leben lang so zu Erfolgen geführt hat. Und das war ein schmerzhafter Prozess. Es ergab immer eins das Andere. Und im Nachhinein betrachtet wäre in meinem Prozess weniger mehr gewesen. Ich bin dann in der Klinik gefragt worden, ob ich hier sowas wie den „Perfekten Patienten” geben will. Da habe ich mir gedacht: Wie gemein sind die denn? Ich gebe mir doch nur Mühe. Und dieser Satz trägt sich so weiter fort. Mittlerweile kann ich nur darüber lachen, denn zu dieser Zeit wäre ich dem fast (nicht wirklich) an die Gurgel gegangen.

Für viele Menschen hat der Gedanke an eine Klinik eine abschreckende Wirkung – Wie sah dein Alltag dort aus?

Bei mir war das z.B. so, dass ich kein Problem damit hatte, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einer psychosomatischen Klinik an meinen Arbeitgeber zu geben. Es gab aber auch Leute, die vom Internisten eine Krankschreibung haben wollen. Du bist dann ganz schnell im Außen und das macht dann ganz viel mit dir. Der Klinikalltag ist geregelt, der ist auch ziemlich intensiv. Es sind immer 2 bis 4 Sitzungen (Gruppen-, Einzel-, Körpertherapie) und gleichzeitig ist er von Ruhe geprägt. Und eines der schönsten Erlebnisse grundsätzlich war, dass es innerhalb der Patientenschaft keine Verstellungen gab. Also, es sind echte Freundschaften entstanden, weil wir untereinander verstanden haben: Wir sind nicht alleine. Dieser Aspekt ist überhaupt nicht zu vernachlässigen und es war eine ganz wertvolle Erfahrung. Gleichzeitig ist es aber auch eine sehr intensive Arbeit und man geht nicht einfach so in eine psychosomatische Klinik. Es ist schon tatsächlich wichtig, dass die Notwendigkeit erkannt wird: Ich brauche jetzt einen Ort bzw. ein Setting, wo ich die ersten Schritte machen kann, wieder zu mir zu kommen. Und dafür war das gut.

Wie lange hat es gedauert, diese Anfangsschritte zu machen? Wann bist du an den Punkt gekommen, dass du eine langsame Besserung gemerkt hast?

Also, 2011 fing das an, 2018 war ich dann in der Klinik, d.h. es ging 7 Jahre lang so ein bisschen runter. Ich bin dann tatsächlich zur Zeit der Klinik auf dem Boden, vielleicht am Grunde des Meeres oder am tiefsten Punkt des Tales, angekommen. Es gibt zwei Bilder dazu, wenn du eine Depression hast. Am tiefsten Punkt des Tales hast du einfach nicht die beste Aussicht, du musst anfangen, kleine Schritte zu machen und ein bisschen zu vertrauen. Gleichzeitig hast du am tiefsten Punkt des Tales einen Boden und kannst dich wieder abstoßen. Und das ist mein Bild für die Klinik. Es wurde besser, aber ich muss auch sagen, dass es sich mindestens die ersten 6 Monate nicht unbedingt so angefühlt hat. Es hat mich zwei Jahre gekostet, bis ich wieder joggen gehen konnte. Jetzt jogge ich wieder, das Knie hält und ich mache meinen Halbmarathon und bin auf einem Level, mit dem ich sehr glücklich bin. Aber es hat sehr lange gedauert und fängt dann mit Spazierengehen an, auch wenn man früher bezahlt Fußball gespielt hat und Marathon gelaufen ist – es reicht ein zehnminütiger Spaziergang. Aber ich merkte dann, es geht voran.

Kannst du nochmal einen Einblick in deine Gefühlswelt zu diesem Zeitpunkt geben? Wie sah es in dir aus?

Komplett Opfer. Was habe ich nur getan? Ich habe doch keinem was getan, ich verstehe das nicht. Warum passiert mir das? Kann nicht alles wieder normal sein? Da war ein Hadern, Widerstand, Wut. Wenn man aber nicht lernt, mit Wut umzugehen und was Wut ist, dann ist sie einfach da und zwar als erschlagende Energie. Wenn man irgendwann verstanden hat, dass Wut etwas ist, das eine gute Energie sein kann, weil sie einem zeigt: Da ist eine Verletzung bzw. Traurigkeit. Dann kann man innerlich konstruktiv arbeiten. Für mich war diese Phase im Nachhinein einfach extrem wichtig. Aber ich war da überhaupt nicht am Steuer, sondern ich brauchte wirklich diese Ruhe oder auch ein Bild von aufgewühltem Wasser, wie die Sedimente kreuz und quer schießen, und die mussten sich erstmal legen. Und dann habe ich langsam gelernt, darin zu schwimmen.

Wie schwierig war es denn, nach Unterstützung zu fragen und sie auch anzunehmen?

Ich hatte kein Problem damit, nach Hilfe zu fragen, weil ich am liebsten wo hingegangen wäre, dann schnippt jemand und dann ist die Sache erledigt. Mein Problem ist, dass ich ganz langsam verstanden habe, dass nur ich mir helfen kann. Der Gedanke war sehr schwer, da bekomme ich immer noch Gänsehaut. Aber gleichzeitig war es auch sehr erleichternd. Mir hat mal jemand gesagt: Das ist ja super, dann kannst du ja Einfluss darauf nehmen. Ich hatte nur noch nicht das Handwerkszeug dazu. Ich hatte aber kein Problem, nach Hilfe zu fragen. Ich hatte im Grunde genommen dann die Herausforderung, die echte Hilfe zuzulassen. Das war für mich ein großes Thema.

Ist das auch eine Vertrauensfrage, dass man die eigene Genesung auch in die Hände von anderen Menschen legt, die man noch gar nicht kennt?

Das Bild habe ich anders. Es ist wirklich so, dass ich sehr fest bzw. starr bin, dass es meine Verantwortung ist. Also, das wird ja auch sehr schnell beigebracht. Du kannst die Impulse aufnehmen, du kannst versuchen, wenn Menschen dir einen klaren (keinen verzerrten) Spiegel vorhalten. Da kannst du lernen, da rein zu gucken und dich zu erkennen. Und dann ist es eben wichtig, für dich rauszunehmen: Was hilft dir? Und das ist eine weitere Erkenntnis: Ich war immer sehr gestresst und dachte, Yoga ist super. Mir macht das aber keinen Spaß. Ich habe mich zum Yoga gezwungen. Und auch wenn es mir total gut tut, macht es mir keinen Spaß. Da musste ich auch erkennen, dass ich andere Routinen bzw. Möglichkeiten brauche, mich zu beruhigen oder für mich gute Dinge zu tun. Die habe ich dann auch gefunden, das ist tatsächlich auch einfach Spazieren gehen oder Nordic Walking. Ich fühle mich heute noch komisch, wenn mir ein Jogger entgegenkommt, denn ich bin natürlich auch ehrgeizig. Aber für mich ist Nordic Walking allein durch die gleichmäßige Bewegung und das Klappern der Stöcke etwas meditatives. Also, ich erreiche eine yoga-ähnliche Wirkung durch Nordic Walking. Und das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, dass einem niemand genau sagen kann: Mach das und das und das. Und dann passiert das und das. Es ist wirklich versuchen über tun. Und da gehört auch das Scheitern dazu, was natürlich frustrierend ist.

Hast du in der Klinik Werkzeuge an die Hand bekommen, wie du für dich Lösungen bzw. Ansätze findest, mit denen es dir nachhaltig gut geht?

Ja, also Werkzeug ist mir schon fast zu konkret. Für mich wurden eher Türen geöffnet. Man hat mir Türen gezeigt und ich kann im Laufe meines Lebens entscheiden, durch welche Türen ich gehe. Niemand sagt dir da, welche die richtige Tür ist. Das wurde mir dort gezeigt. Und dann bin ich auch mal durch falsche Türen gegangen. Im Augenblick habe ich gute Türen und Räume für mich.

Musstest du da auch ein bisschen ausprobieren und neue Erfahrungen sammeln?

Ja, also das hilft niemandem, der in dieser Situation steckt. Das ist schwer in dieser Situation. Aber an sich geht es um sowas wie kindliche Neugier: Sich selbst neu und kindlich kennenzulernen. Man wird kein anderer – es gibt nur eine andere Balance und Moderation dessen, was in einem ist. Und wenn man diese Rolle annimmt, dann kann tatsächlich auch mal eine Freude entstehen, weil man feststellt: Ah, der Weg tut mir gut bzw. nicht so gut. Und ich geh dann vielleicht auch mal bewusst den Weg, der mir nicht so gut tut, um mal wieder reinzuschmecken, was das eigentlich heißt. Es ist ja auch wichtig, das Bewusstsein aufrechtzuerhalten.

Weil du gerade auch vom Bewusstsein sprichst: Wenn du heute auf diese Zeit zurückblickst, in der das noch mehr Arbeit als heute war, wie fühlt sich das für dich an?

Darüber habe ich im Vorfeld unseres Gesprächs nachgedacht. Als erstes schoss mir eine sehr schwere Geburt durch den Kopf. Da ist etwas zum Vorschein gekommen in mir, was schon immer da war, aber auf einmal eine Form von Gleichberechtigung und Akzeptanz durch diesen Leister und Ehrgeiz, der am Ende nur Anerkennung gesucht hat.

Würdest du das – trotz der Tatsache, dass es so eine schwere Geburt war – wieder machen?

Ich musste so auf die Schnauze fallen, weil ich es anders nicht verstanden hätte. Gleichzeitig bin ich dankbar dafür, dass ich bei meinem Weg im Nachhinein jemanden kennengelernt habe, der die Zeit bzw. Krise als Geschenk bezeichnet. Das hat er so vor ein bis zwei Jahren gesagt. Im Augenblick bin ich noch bei Dankbarkeit. Aber ich möchte mein Leben heute nicht ohne diese Krise führen. Ich bin fast schon glücklich, dass ich die Erfahrung machen konnte, wie ich mir selbst näher kommen kann.

Würdest du sagen, dass es dich verändert hat?

Ja, in der Wahrnehmung durch andere auf jeden Fall. Ich hadere mit dem Begriff Es hat mich verändert. Es hat eher mein Selbstmanagement und mein Auftreten verändert, aber ich bin auf eine gewisse Art und Weise noch der, der ich mal war. Ich handel nur anders: Bewusster, wohlwollender.

Gibt es noch etwas, was du anderen Menschen, die sich vielleicht auch in so einer Krise befinden, mitgeben möchtest?

Ich habe festgestellt (und das stelle ich auch in meinen Coachings fest), dass viele Menschen niemanden so streng und so schlecht wie sich selbst behandeln. Und ich habe in meiner Krise gesagt: Ich lasse mich von niemandem schlecht behandeln, das mache ich schon selbst. Und ich glaube, es ist ganz wichtig, einem wohl zu wollen und sich selbst gegenüber zu entwickeln. Und gut mit einer Form der Akzeptanz umzugehen, dass die Situation vielleicht jetzt schlecht und extrem herausfordernd ist, aber gleichzeitig auch ein Vertrauen in kleinen Schritten entwickelt werden kann. Gut mit sich umzugehen und versuchen zu akzeptieren bzw. zu lernen, dankbar für kleine Erfolge zu sein – das ist eine gefühlte Gummikeule. Also wenn man mir das in meiner Krise gesagt hätte, hätte ich gesagt, dass mir das nicht hilft. Die Glocke darüber ist die Ruhe.

Das war ein erster Einblick in die Erfahrung eines Betroffenen. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, was diesem Betroffenen nach seinem Klinikaufenthalt geholfen hat oder was er Angehörigen von Betroffenen empfiehlt, schau dir gerne die weiteren Interviews mit ihm an. Informiere dich außerdem gerne weiter zum Thema Depression und Burnout hier in der Mediathek, oder kontaktiere die hier hinterlegten (psychologischen) Ansprechpersonen, wenn du offene Fragen hast.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
Kassel

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