Babyblues oder Depression? Symptome erkennen & Hilfe finden

Interview
Die meisten von uns haben schon mal vom sogenannten Babyblues gehört. Doch was bedeutet es konkret, von einem Babyblues betroffen zu sein? Ab wann handelt es sich vielleicht schon um eine Wochenbettdepression? Und wie können Angehörige unterstützen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich dieses Interview mit Ines Fuchs, einer Diplompsychologin, approbierten Psychotherapeutin und Fachbuchautorin.
Hinweis: Im Laufe dieses Interviews werden Betroffene eines Babyblues sowie einer Wochenbettdepression oft in der weiblichen Form angesprochen. Trotzdem sollen explizit Personen aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten eingeschlossen werden, die ein Kind gebären oder bereits geboren haben.

Was ist ein Babyblues und was sind Beispiele für Gedanken oder Gefühle, die Betroffene bei einem Babyblues haben?

Einen Babyblues entwickeln erstmal ganz viele Frauen im Wochenbett. Das sind so die ersten 3 bis 5 Tage nach der Geburt, wo fast alle Frauen eine kurzfristige Verstimmung haben. Also, dass die Stimmung so ein bisschen im Keller ist. Das klingt aber bei den meisten Frauen wieder ab und ist auch erstmal gar kein Grund zur Sorge. Wir haben da auch so eine ganz massive und schnelle hormonelle Umstellung – es ist Wahnsinn, was da im Körper passiert. Wir haben eine große körperliche Belastung, Schlafmangel, eine neue Lebenssituation. Auch diese neue Rolle als Mutter und ganz viele Unsicherheiten, vielleicht auch Stillprobleme oder was auch immer am Anfang schwierig laufen kann. So typische Gedanken sind vielleicht sowas wie: Ich hab mir das irgendwie leichter vorgestellt oder irgendwie auch ganz anders. Ich bin keine gute Mutter. Ich bekomme das nicht hin. Also viele Versagensängste, Schuldgefühle. Das ist auch so ein bisschen in den Mamas, glaube ich, evolutionär angelegt (lacht), aber es ist auch so ein bisschen das Bild, was wir in der Gesellschaft erfüllen müssen. Und ja, vielleicht auch so Sachen wie: Ich werde jetzt nie wieder Zeit für mich haben. Das sind typische Gedanken.

Wie lässt sich erkennen, ab wann sich Betroffene nicht mehr in einem Babyblues, sondern schon in einer Wochenbettdepression befinden?

Das ist gar nicht so einfach. Also, um das ein bisschen einzuordnen: Ungefähr 10 bis 15 % der jungen Mütter entwickeln nach der Entbindung eine Depression. Das ist dann länger andauernd und behandlungsbedürftig (im Vergleich zum Babyblues). Als Ursachen kann z.B. erbliche Veranlagung eine Rolle spielen, aber auch viele dysfunktionale bzw. nicht sehr hilfreiche Annahmen zur Rolle der Mutter. Sowas wie: Mütter müssen perfekt sein, sich aufopfern, viel Unterstützung in der Familie, Schwierigkeiten bei der Rollenfindung, vielleicht auch eine traumatische Geburt. Eine Depression sollte im Gegensatz zum Babyblues rechtzeitig behandelt werden, weil sonst die Bindung zum Neugeborenen gefährdet ist. Der Unterschied ist, dass verschiedene Symptome gleichzeitig da sind, länger als mindestens 2 Wochen lang bestehen und mehr oder weniger die ganze Zeit vorhanden sind. Sie haben dann z.B. eine gedrückte, depressive Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, vielleicht wenig Bindung zum Kind, Antriebsmangel, Energielosigkeit, schlechte Konzentration bzw. Aufmerksamkeit, intensives Grübeln, schlechtes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit, Durchschlafstörungen – wie man hört, ist das sehr schwer abzugrenzen von allgemeinen Wochenbett-Problemen, wo man ja fast sowieso nicht schläft. Außerdem verminderter bzw. gesteigerter Appetit oder sogar Suizidgedanken bzw. -versuche. Also das wären alles Hinweise auf eine Depression.

Anhand welcher Signale können Angehörige und Nahestehende erkennen, dass etwas nicht in Ordnung ist?

Das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Depressionen können nach außen hin sichtbar sein, müssen aber nicht. Also wenn ein:e Kolleg:in, der bzw. die eine Depression hat, das würde man oft vielleicht gar nicht merken. Auch bei einer schweren Depression kann man noch ganz gut funktionieren und einen guten Eindruck machen. Allerdings würden die Personen, die sehr nah dran sind, die Veränderungen schon merken, da sie hoffentlich in einem engen Austausch mit der betroffenen Person sind. Dann würde ich auch einfach mal nachfragen und sagen: Ich mache mir Sorgen. Und die ersten paar Tage würde ich erstmal abwarten, außer es ist total krisenhaft. Es geht eher darum: Wie gravierend ist das? Ich sehe, die Frau kann keine Bindung zum Kind aufbauen und kommt irgendwie gar nicht klar. Bei so einer krisenhaften Zuspitzung würde ich relativ schnell auf eine ärztliche Vorstellung drängen. Oder natürlich auch bei der Äußerung suizidaler Gedanken ist es immer unbedingt ernst zu nehmen.

Wenn ich das Gefühl habe, ich erkenne diese Symptome bei meiner Partnerin wieder, wie kann ich sie gut darauf ansprechen und unterstützen?

Da ist es sehr wichtig, immer ein offenes Ohr zu haben und immer konkret nachzufragen, wenn ich unsicher bin. Oder zu sagen: Ich mache mir Sorgen um dich. Du wirkst sehr unglücklich. Ich habe das Gefühl, es ist alles zu viel für dich, magst du mir davon erzählen? Und das kann man wirklich ein Stück weit auch einfordern. Wie gesagt, so ein erster guter Ansprechpartner wäre eben die hausärztliche Praxis oder auch direkt eine Beratungsstelle, eine psychotherapeutische oder psychiatrische Praxis. Wenn ich nicht mehr weiterkomme oder gar nicht weiß, was ich machen soll, kann ich im Notfall auch die 112 wählen. Behandlungsmöglichkeiten, die es dann auch gibt, z.B. medikamentöse Behandlung – es gibt auch geeignete Medikamente, wobei auch eine strenge Kosten-Nutzen-Abwägung gemacht werden muss, weil es wenig Forschung zur Gabe von Medikamenten in Schwangerschaft und Stillzeit gibt. Es gibt aber einiges, was sich bewährt hat. Ich würde auf jeden Fall aber, falls wirklich eine Wochenbettdepression da ist, zu einer psychotherapeutischen Behandlung raten, um an den Symptomen und den Ursachen zu arbeiten und v.a. auch möglichen weiteren Episoden vorzubeugen. So eine Depression neigt in der Regel dazu, von alleine wegzugehen. Aber sie kann auch wieder auftreten, und das will man vermeiden. Ich finde es auch ganz wichtig, nochmal etwas ganz anderes zusammen zu überlegen. Vielleicht: Warum hat sich die Depression entwickelt? Bin ich unzufrieden mit meiner Rolle als Mutter, weil die erste Zeit mit dem Baby sehr fordernd, monoton und einsam sein kann? Brauche ich mehr Unterstützung? Habe ich mir das anders vorgestellt, auch eine ausgewogenere Arbeitsteilung? Habe ich überzogene Ansprüche? Habe ich ein Kind, das sehr anstrengend ist und sehr viel schreit? Da gibt es dann z.B. die Möglichkeit, sich vielleicht mal an eine Schreiambulanz zu wenden.

Wieso ist es speziell bei einer Wochenbettdepression so wichtig, diese frühzeitig zu erkennen und zu behandeln?

Es ist eine ganz sensible Phase, wo ich die Bindung zu dem Kind erstmal entwickle. Und wenn ich dann nur mit mir beschäftigt und sehr traurig bin und gar nicht so auf diese Bedürfnisse eingehen kann, dann ist das tatsächlich schwierig. Dann haben die Kinder eher Regulationsstörungen, weil das ja eine Phase ist, wo ich sehr sensibel bzw. sehr achtsam sein muss und die Bedürfnisse von meinem Kind gut erkennen muss. Und ich brauche auch viel mehr Kraft und Energie als sonst, und das ist in dem Moment gar nicht da.

Es ist wichtig, eine Wochenbettdepression früh zu erkennen bzw. zu behandeln und eine gute Kommunikation und Unterstützung ist hier viel wert. Wenn ich unsicher bin, stelle ich mich lieber früher als später psychotherapeutisch vor. So geht es einem selber besser und die Beziehung zum Kind kann wieder gestärkt werden.

Wenn du dich gerade in dieser Thematik wiedergefunden hast, dann kannst du dich immer gerne an die hier hinterlegten psychologischen Ansprechpersonen wenden, wenn du dir ein persönliches – oder anonymes – Gespräch wünschst. Außerdem findest du weitere Informationen in den Beiträgen und Interviews hier in dieser Mediathek.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
Kassel

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