Stalking am Arbeitsplatz & im Team

Interview
Fragst du dich, wie sich Stalking im Arbeitskontext bemerkbar macht? Möchtest du wissen, was du als betroffene Person, Kolleg:in und Führungskraft in einem solchen Fall tun kannst? Oder suchst du nach präventiven Maßnahmen, um das Risiko für Stalking am Arbeitsplatz zu vermindern? In diesem Interview beantwortet Sandra Cegla, Kriminalkommissarin a. D. und Gründerin von SOS-Stalking, diese und weitere Fragen rund um Stalking am Arbeitsplatz.
In diesem Gespräch werden Täter:innen oft in männlicher und Betroffene in weiblicher Form angesprochen. Trotzdem gilt: Jedes Geschlecht kann sowohl Täter:in als auch Opfer sein – alle Kombinationen sind möglich.

Was sind typische Beispiele, die du nennen kannst, wie Stalking am Arbeitsplatz auftreten kann?

Ja, sehr, sehr gute Frage, vor allem die Arbeitsplätze selbst können ja sehr, sehr unterschiedlich sein. Also, genauso unterschiedlich, wie die Arbeitsplätze sein können, kann dann eben auch das Stalking sein. Und gerade weil wir jetzt ja auch so viel vom Intimpartnerstalking gesprochen haben, was ja den großen Mammutteil von 80 Prozent aller Fälle einnimmt, ist es schon so, dass dann die letzten 20 Prozent gefühlt so ein bisschen hinten runterfallen, wo man sich dann schon die Frage stellt: „Ja, aber was sind denn das für Fälle?” Und die können dann im Arbeitskontext unter anderem auftauchen. Das sind dann Sachen wie beispielsweise die Kassiererin an der Kasse, die dort eben regelmäßig sitzt, einen Stalker hat, der dann regelmäßig da auftaucht und sie kann sich der Situation irgendwie gar nicht entziehen. Das betrifft alle anderen Berufe, wo ich quasi mit Öffentlichkeit oder mit einem öffentlichen Publikum zu tun habe, an allen Orten, die irgendwie frei zugänglich sind. Das kann in einem Kino sein, das kann in allen möglichen Geschäften sein, das kann in Restaurants, Bars, Cafés sein, das kann in Diskotheken sein – ganz, ganz unterschiedlich. Orte, die frei zugänglich sind, dort kann es eben sein, dass ich einen Stalker habe und der wird mich dann eben immer wieder aufsuchen. Dann haben wir aber natürlich auch die andere Situation, dass das auch in einem ganz normalen Büroalltag oder Bürokontext auftreten kann. Das kann bei Mitarbeitenden untereinander sein. Es kann aber auch sein, dass ein:e Mitarbeiter:in sich auf den Chef fokussiert und ihm oder ihr das Leben schwer macht. Es kann auch sein, dass Geschäftspartner untereinander, die mal zusammengearbeitet haben, auseinandergehen und der eine stalkt plötzlich den anderen. Und das geht über einen reinen Konflikt und auch über ein reines Konkurrenzverhalten weit hinaus. Es kann aber auch sein, dass der Chef eine Untergebene stalkt. Also, da gibt es wirklich alle, alle Konstellationen, die man sich nur denken kann. Und das Leben schreibt da die unterschiedlichsten Geschichten.

So wie ich es jetzt verstanden habe, können wir im Arbeitsumfeld zwei Gruppen ausmachen: Wenn ich ein Teammitglied und eine externe Person habe, oder zwei Personen, die im gleichen Arbeitskontext arbeiten. Was sind jeweils die unterschiedlichen Merkmale? Woran kann ich erkennen, dass ich gestalkt werde?

Ja, also in dem Kontext, dass die Person von extern kommt, ist es relativ schnell irgendwann erkennbar. Also, auch nicht auf den ersten Blick, aber das ist dann relativ schnell erkennbar, indem jemand permanent E-Mails schickt, permanent anruft oder eben ständig auch in Präsenz dasteht, je nachdem, wie der Arbeitskontext so gestrickt ist. Innerhalb des Teams kann es sehr, sehr viel schwerer sein, weil hier zwei Personen in ein Team integriert sind und beide meistens ganz viel Zugang zu den gleichen Daten sowie zu den gleichen Personen haben. Und Stalking zeichnet sich sehr häufig einfach dadurch aus, dass der bzw. die Täter:in manipuliert und einfach die Welt ganz anders sieht und dadurch auch ganz andere Geschichten erzählt. Und gerade in so einem Bürokontext kann das schon sein, dass, wenn dann dort Stalking stattfindet, das kann entweder auch aus Konkurrenz entstehen und dass das die Kränkung ist „Ich muss da einen Konkurrenten oder eine Konkurrentin bekämpfen” und das kann dann in Stalking übergehen. Es kann aber auch sein, dass jemand sich am Arbeitsplatz verliebt hat und da massiv Eifersucht erlebt, weil die andere Person das nicht will. Also, wie auch immer die Motive sind, haben wir hier die Situation, dass beide meistens Zugriff auf gleiche Kollegen und auf Arbeitskontexte haben und so weiter. Und hier kann man natürlich massiv auch im Verborgenen boykottiert werden. Also, oft hören wir das, dass dann wirklich so Kontexte geschaffen werden, dass Informationen nicht richtig weitergegeben werden, die Betroffene selber dann Fehler macht, weil sie bestimmte Sachen einfach nicht wusste und dann wird ihr das in die Schuhe geschoben. Oder manchmal kriegt sie falsche Informationen, dann trifft sie Entscheidungen im Arbeitskontext und das fällt ihr dann wieder auf die Füße, weil irgendwann der Chef kommt und sagt: „Wieso hast du denn das gemacht?” Und die, die sie selber dann auch reflektiert und sagt: „Ja, Moment mal, ich habe ja da von jemandem falsche Informationen bekommen.” Das ist ja auch ein Reflexionsprozess, der meistens länger dauert. Und die Situation selber, die dann aber auftaucht, dieses „Ich werde zum Chef gerufen und ich muss mich plötzlich für etwas rechtfertigen, was ich nicht habe kommen sehen.” Das heißt ja auch, ich bin völlig überrascht und in einer totalen Stresssituation und muss das selber hinterher für mich aufarbeiten. Und während ich noch aufarbeite, passieren schon die nächsten drei Dinge, die ich auch nicht habe kommen sehen. Und für den Chef und auch für mich selber sieht es erstmal aus wie: „Au weia, bin ich meiner Arbeit nicht gewachsen, was ist denn hier los?” Und dann passieren manchmal auch so Sachen, dass dann plötzlich andere Kollegen einen anschwärzen oder auch zum Chef gehen und sagen: „Also, irgendwie können wir mit ihr nicht mehr.” Oder dass dann richtig offene Anfeindungen passieren, wo man eigentlich gute Verhältnisse hatte und plötzlich kommen Leute oder Kollegen und die feinden einen offen an, wo man das selber dann auch nicht versteht. Also, da können dann wirklich Dinge passieren, die erstmal wirklich auf die Betroffene zurückfallen und sie selber sogar an sich zweifelt und denkt: „Was ist hier los?” Bis sie das dann step by step aufarbeitet und reflektiert und dann merkt: „Mensch, nee, da sind wirklich Sachen, aber im Außen auch schiefgelaufen, die sind auf mich zurückgefallen, aber ich war das gar nicht.” Und da muss man schon eine sehr starke Persönlichkeit sein, gerade in einem Umfeld von, naja, hier geht es um Performance, wir sind alle hier, weil wir einen Arbeitsvertrag haben, meine Lebensgrundlage, mein Geld, meine Existenz hängt davon ab. Ich bin natürlich mit bestimmten Kollegen auch in Konkurrenz, denen spielt es ja auch in die Karten, wir sind hier ja nicht alle Freunde, sondern wir sind Arbeitskollegen. Also, dieser Kontext gibt allein aufgrund der Psychologie ganz, ganz viele Fallstricke her, wo es für die Betroffenen sehr schwierig wird. Das kann am Ende sogar mit einer Kündigung enden, das kann darauf hinwirken, dass sie einen bestimmten Posten nicht bekommt, auf den sie hingearbeitet hat, die Beförderung nicht kommt oder sie sogar strafversetzt wird in einem anderen Bereich, weil da plötzlich so viele Dinge schiefgelaufen sind, die man gar nicht im einzelnen Detail aufarbeiten kann. Und da würde ich sagen, also wir haben auch viel mit solchen Fällen zu tun, die sind schon sehr, sehr, sehr knifflig, wo man wirklich ins Detail gehen darf auch. Und auch andere Fallkonstellationen wie die Frau, die im Restaurant arbeitet und auch da kommt dann regelmäßig der Stalker vorbei und macht anzügliche Witze oder fasst sie an, oder macht was auch immer und ihr ist es unangenehm und sie möchte sich eigentlich von ihm distanzieren, ist aber dadurch, dass sie dort in das Arbeitsverhältnis gebunden ist und ja eigentlich zu Kunden freundlich sein muss, natürlich in einer totalen Zwickmühle zwischen „Ich möchte eigentlich diesen Kunden nicht betreuen, möchte ich nicht und kann ich irgendwie auch nicht”, dann aber auch mit Chefin oder Chef drüber sprechen zu müssen „Kann ich nicht.” Also, das ist ja dann auch aus Sicht der Führungskraft meistens sehr schwierig einzuordnen: „Warum werden jetzt einzelne Kunden hier nicht mehr betreut, warum kommen hier Beschwerden an mich ran, was ist hier mit meiner einen Mitarbeiterin los?” Also, da braucht man dann schon ein sehr gutes Umfeld, auch im beruflichen und auch selber ein gutes Reflexionsvermögen, um da dann auch die richtigen Maßnahmen einzuleiten.

Weil du gerade auch das Umfeld angesprochen hast: Wie können denn Kolleg:innen unterstützen? Vor allem wenn so etwas im Team passiert, werden sie ja ohne es zu wollen meistens auch mit reingezogen, oder?

Ja, richtig, Kollegen, Kolleginnen sind meistens instrumentalisiert, ohne es zu wissen. Das ist auch eine ganz schwierige Situation und deshalb ist auch hier wieder das A und O für mich selber anzuerkennen, irgendwas läuft total schief. Und eventuell sogar einfach mal einen frühzeitigen Urlaub einzureichen, zu sagen: „Ich nehme mich mal zwei Wochen raus, ich muss selber erstmal durchatmen und auch wieder zu Kräften kommen und auf der anderen Seite möchte ich das alles mal für mich reflektieren. Ich muss mir das unbedingt ein bisschen aus der Entfernung anschauen und reflektieren: Was ist da eigentlich passiert, wie ist denn eigentlich das eine mit dem anderen zusammen gekommen und so weiter.” Es ist das A und O, dass ich selber ernst nehme und dass ich selber mal auf die Spurensuche gehe, was kann denn da wirklich echt passiert sein und was kann ich vielleicht sogar wie beweisen. Und dann ist es sehr wichtig, auf Kollegen zuzugehen und die ins Vertrauen zu holen. Und hier muss man natürlich auch im Hinterkopf haben, der Täter macht das ja auch. Der hat ja vielleicht denen auch schon falsche Geschichten erzählt oder Gerüchte über mich verbreitet oder so. Gerade wenn ich merke, da ist plötzlich eine Feindseligkeit in der Luft, die ich noch nie wahrgenommen habe. Und ich habe ja nichts gemacht, was ist denn hier los? Ich bin wohlwollend, ich mache meine Arbeit und plötzlich treten mir Menschen gegenüber feindselig auf, mit denen ich gar keine Konflikte habe. Also, es sind schon immer Zeichen dafür, dass irgendjemand im Hintergrund gegen mich arbeitet. Und dann sollte man entweder mit den Kollegen sprechen, wenn man glaubt, dass das noch möglich ist, und das neutral ansprechen und sagen: „Weißt du, ich arbeite total gerne hier, ich arbeite total gern auch mit dir zusammen. Und ich stelle fest, dass das ein bisschen feindselig zwischen uns geworden ist. Gibt es was, was wir vielleicht aussprechen können?” oder „Wie geht es dir damit? Siehst du das auch so? Habe ich irgendwas falsch gemacht? Habe ich dich aus Versehen vielleicht gekränkt?” Je nachdem, wie das Verhältnis zu den Kollegen ist. Einfach ganz neutrale und offene Fragen stellen und dann mal schauen, wie die Menschen ins Gespräch gehen. Und wenn sie vertrauensvoll ins Gespräch gehen und sagen: „Das und das ist das Thema, da und da waren Fehler usw.”, habe ich gute Anhaltspunkte, um das nochmal weiter auszubauen und genauer hinzuschauen. Hier ist es auch ganz wichtig, dass ich selber auch nicht gekränkt auftrete. Egal wie sehr es mich kränkt, sollte ich die Informationen in der Situation unbedingt so neutral wie möglich aufnehmen und der Person auch wirklich danken, dafür, dass sie es mir gesagt hat. Ohne sofort mich zu rechtfertigen usw. Wichtig ist ja erstmal zu sammeln und die Situation zu verstehen. Und die Führungskräfte müssen ab einem gewissen Punkt unbedingt involviert werden, weil Stalking im Team bedeutet massive Produktivitätsminderung. Also, in Teams, in denen gestalkt wird oder wo irgendwie Stalking eine Rolle spielt, da kann massiv der Krankenstand steigen, es kann auch in Mobbing umschlagen, es kann eine extrem toxische Atmosphäre entstehen, wo ganz viel Missgunst bis zu Hass plötzlich auftritt, obwohl das Team eigentlich immer gut zusammengearbeitet hat. Und diese Energien, die werden ja da reingetragen ins Team und es ist ja für alle irgendwie spürbar, dass irgendwas los ist, auch wenn man es nicht greifen kann. Und gerade wenn man es nicht greifen kann, macht es umso mehr wütend und frustriert usw. Und jemand, der frustriert zur Arbeit geht und permanent Konflikten ausgesetzt ist, der wird natürlich nicht gut arbeiten. Und das kann für Unternehmen einfach massive Umsatzeinbußen bedeuten, wenn das Team nicht produktiv arbeitet. Und deswegen müssen die Führungskräfte so schnell wie möglich auch involviert werden und das natürlich auch erstmal im Vertrauen. Ohne anzuklagen, ohne zu beschuldigen, einfach Vermutungen auszusprechen und zu sagen: „Mir geht es wirklich darum, dass wir wieder ein gutes Klima haben, ein gutes Verhältnis, es ist für mich gerade schwierig, ich habe beobachtet, das und das und das und ich bin an einer Lösung orientiert.” Und da dürfte eigentlich keine Führungskraft was dagegen haben. Meine Erfahrungen aus der Praxis sind, dass Firmen sehr unterschiedlich sind. Wir haben zum einen die Firmen, die sehr verleugnen und wo auch die Führungskräfte von solchen Themen gar nichts wissen wollen, weil sie finden, dass es Kindergarten ist: „Wir sind doch hier nicht im Kindergarten, klärt das mal unter euch” und „Was habe ich hier damit zu tun?” Und die oft dann auch die Betroffenen im Regen stehen lassen, was ganz, ganz, ganz schlimm und verheerend sein kann. Und oft kündigen die Betroffenen dann, obwohl das eigentlich für sie nie infrage kam. Und auf der anderen Seite habe ich aber auch schon mit Arbeitgebern zu tun gehabt, die das sehr ernst nehmen. Die sofort Gegenmaßnahmen einleiten, die sofort Gespräche führen, die sofort auf Spurensuche gehen, Einzelgespräche im Team führen und dann auch mitbekommen, Täter XY oder Kollege XY hat das und das gemacht und wir werden auf jeden Fall dagegen vorgehen. Also, beides gibt es und das ist so meine Erfahrung mit dem Thema am Arbeitsplatz.

Im Prinzip ist also deine Empfehlung vor allem für Führungskräfte – wie eigentlich bei jeder Art der toxischen Atmosphäre im Team – da einmal fragend hineinzugehen, sich unterschiedliche Perspektiven anzuhören und dann zu ermitteln, was der Ursprung dieser Atmosphäre ist?

Auf jeden Fall, weil gerade im Arbeitskontext das oft eben nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Und was auch noch ganz wichtig ist, was ich bisher noch unterschlagen habe, wir kennen ja auch noch das Prominenten-Stalking. Das ist auch nochmal eine Sonderform des Stalking und das kriegen wir ja oft auch mit über die Presse und über die Nachrichten, dass natürlich prominente Menschen einfach dadurch, dass sie eine gewisse Art von Prominenz haben, auch anfällig dafür sind, von Stalkern verfolgt zu werden. Und das ist auch nochmal ein, ich würde mal sagen, spezielles Berufsrisiko für Menschen, die ihren Beruf in der Öffentlichkeit ausüben oder wo die Öffentlichkeit zu ihrem Beruf dazugehört. Hier haben wir es häufig mit Tätern zu tun, die oft sehr, sehr, sehr schwer psychisch erkrankt sind, weil die über das Fernsehen beispielsweise, wo sie dann ihren Angebeteten, ihre Angebetete immer wieder sehen, fantasieren: „Eigentlich haben wir eine Bindung. Die Person schickt mir heimliche Botschaften übers Fernsehen in Form von Augenzwinkern oder sie fährt sich mal durchs Haar und so weiter. Das bedeutet für mich, ich soll sie nach den Dreharbeiten abholen, oder das war ein Heiratsantrag oder so.” Und ich meine, allein wenn ich das jetzt schon so ausspreche, dann merkt man ja schon, wie absurd diese Fantasien allein sind. Und das als Wunschgedanken zu haben, ist das eine, aber es wirklich als Realität zu begreifen und dann auch aktiv zu werden und eine Bindung zu fantasieren und die auch aktiv zu leben, das ist nochmal was anderes. Und hier haben wir es dann mit Menschen zu tun, die massive Wahrnehmungsstörungen haben und die auch sehr gefährlich werden können. Und deswegen ist das, würde ich sagen, auch nochmal eine Sonderform des Prominenten-Stalking als so eine Art Stalking, die auch mit dem Arbeitsplatz zu tun hat.

Du hast im Prinzip auch gesagt, dass es schwierig ist zu erkennen, ab wann oder dass überhaupt Stalking am Arbeitsplatz stattfindet. Was können denn sowohl Kolleg:innen als auch Führungskräfte tun, um präventiv am Arbeitsplatz gegen Stalking vorzugehen?

Ja, super Frage. Genau das war auch, während du gerade geredet hast, sofort mein Impuls: Prävention ist so wichtig. Also, es ist natürlich total sinnvoll, sich in regelmäßigen Abständen auch mit dem Thema Stalking auseinanderzusetzen, meinetwegen auch mit anderen Themen, die am Arbeitsplatz ja auftreten können, beispielsweise sexuelle Belästigung, sexuelle Nötigung, Mobbing, Stalking und andere Formen, die einfach am Arbeitsplatz passieren können und leider auch passieren und zwar öfter auch passieren, als wir wissen. Das weiß ich natürlich über meine Seminare und auch über meine Gespräche mit Menschen. Das ergibt total Sinn, sich regelmäßig über diese Themen zu informieren, auch mal einen Workshop zu machen oder sich da auch präventiv Gedanken zu machen: „In Fällen von Stalking, wie würden wir denn dann vorgehen, in Fällen von Mobbing, wie gehen wir denn dann vor?” Vor allem, wenn die Firmen eine gewisse Größe erreichen, dann ist es total sinnvoll, sich dafür schon mal über Richtlinien Gedanken gemacht zu haben. Wenn Fälle von Stalking auftreten, wie gehen wir dann vor? Welche Vorgesetzten müssen informiert werden? Wie sind die Hierarchien bei uns angelegt? Welche Maßnahmen haben wir dann? Wie würden wir in die Prüfung gehen? Dass das eben dann auch nicht den Zufall überlassen ist, sondern dass man hier auch ganz klar handfest für das eigene Unternehmen oder für die eigene Institution Richtlinien festgelegt hat, wo sich jeder Mitarbeitende und gleichzeitig vor allem aber die Führungskräfte daran halten können. Wir haben jetzt mit mehreren großen Einrichtungen schon Sicherheitsrichtlinien für Fälle von Stalking erstellt, das machen wir ganz individuell für die Firmen. Weil es ist auf der einen Seite, wenn wir das noch nie durchgespielt haben, dann ist es dem Zufall überlassen, gleichzeitig ist es so, dass ja regelmäßig Führungskräfte ausgetauscht werden oder wechseln oder nach oben gehen und die nächsten kommen nach, wie auch immer. Das heißt, man kann ja gar nicht gewährleisten, dass jeder sich mit dem Thema Stalking auskennt. Die meisten tun es einfach nicht. Und Gott sei Dank sind wir noch nicht betroffen gewesen und Gott sei Dank ist es vielleicht auch nicht unsere Profession, sondern wir beschäftigen uns ja mit ganz anderen Themen. Es ist total sinnvoll, da regelmäßig sich mit zu beschäftigen, das Thema durchzuspielen, es einmal im Grundsatz auch verstanden zu haben, weil es ist eben nicht so, dass es selten vorkommt, sondern es kommt viel öfter vor, als wir denken. Es wird aber nicht erkannt und auch nicht als solches benannt. Und es richtet verheerenden Schaden an, weil die Stalker meistens sehr, sehr fixiert sind. Die lassen einfach nicht ab. Und meistens haben sie so eine starke Emotionalität dahinter, dass sie gar nicht ablassen können. Das heißt, wenn ich einmal jemanden in meinen Kreisen hatte, der Zugang zu allen möglichen Daten hatte, zu Kundendateien und so weiter, der Zugänge kennt, es ist ihm zwar offiziell untersagt, aber Stalker sind ja kriminell. Das heißt, sie machen Dinge, die wir nicht wollen. Im allerschlimmsten Fall hat er Zugriff auf Konten, im allerschlimmsten Fall kann er Kundendaten manipulieren, im allerschlimmsten Fall schreibt er Kunden an und sagt „Das ist alles unlauter hier, ich sage euch mal, wie die eigentlich arbeiten und das ist alles schlimm” und die Kunden springen ab. Im allerschlimmsten Fall kann er interne Daten einfach nach außen geben, auf Social Media veröffentlichen oder an die Presse spielen und denen irgendwelche Geschichten erzählen. Also, die Spielarten sind wirklich groß und es reicht ein einziger Stalker, eine einzige Person reicht, um einem ganzen Unternehmen wirklich große Schwierigkeiten zu bereiten, bis hin zur Insolvenz. Und ich habe viele Fälle gesehen und deswegen ist es mir persönlich auch ein Anliegen, besonders in diesen Fällen natürlich zu sensibilisieren, weil wir davon ja in der Presse kaum hören. Der Klassiker ist ja das Intimpartner-Stalking. Deswegen setzen wir uns ja Gott sei Dank intensiv damit auseinander. Aber die Brisanz von Stalking am Arbeitsplatz ist meinem Erachten nach gerade in der Presse noch nicht besonders bekannt und die Folgen können so verheerend sein, dass ich sagen muss: „Also, damit sollte man sich unbedingt gut auseinandersetzen, besonders im Unternehmen.”

Damit sich Unternehmen vor allem präventiv schützen können, hattest du gerade schon die Erarbeitung von Richtlinien und Protokollen angesprochen. Was kann denn noch so im Kleinen gemacht werden? Es hängt ja auch viel an der zwischenmenschlichen Zusammenarbeit.

Ja, unbedingt. Und das ist auch immer Prävention, auch vor sexueller Nötigung, auch vor Mobbing und so weiter. Es ist natürlich besonders wichtig, auch immer die guten Bindungen zu pflegen, in vertrauensvollen Bindungen drin zu sein. Und für mich als Mitarbeitende bedeutet das einfach, grundsätzlich meine Bindungen zu pflegen, immer so gut wie es geht. Und wenn ich merke, da gibt es Missverständnisse, die auch aufzuarbeiten, anzusprechen und einfach immer auch Wohlwollen zu zeigen. Zum anderen ist es aber vor allem auch für die Führungskräfte, finde ich, sehr, sehr wichtig, dass sie neben dem geschäftigen Alltag immer auch ein Auge drauf haben, dass die Arbeitsatmosphäre stimmt, dass es immer auch mal Team-Events gibt, dass man auch teambildende Maßnahmen macht, dass man immer mal auch in Mitarbeitergesprächen fragt: „Wie fühlst du dich eigentlich?”, „Ist alles in Ordnung?” und so weiter. Und dass man auch klare Statements setzt für „Wir haben immer einen ordentlichen Umgang miteinander, wir gehen immer anständig miteinander um, wir wahren immer einen bestimmten Umgang miteinander, auch wenn vielleicht mal Fehler passiert sind, auch wenn vielleicht Dinge nicht gut gelaufen sind und wir auch mal wütend aufeinander sind.” Wo Menschen zusammenkommen, passieren auch solche Dinge und es treten auch Konflikte auf. Aber ob wir anständig miteinander umgehen oder nicht, das entscheiden wir immer selbst und das entscheidet jeder, jede für sich höchstpersönlich. Und das, finde ich, kann man immer tun. Immer. Wir können immer freundlich zueinander sein, wir können immer wohlwollend sein, weil wir sitzen ja in einem Boot und wir wollen ja in die gleiche Richtung. Und da würde ich sagen: Bindungen, gute Bindungen, gute Vertrauensverhältnisse sind immer auch ein guter Schutz.
Hast du die in diesem Interview besprochenen Erfahrungen in gleicher oder ähnlicher Form selbst gemacht – oder kennst eine akut betroffene Person? Dann wende dich gerne an die hier hinterlegten psychologischen Ansprechpersonen oder eine Beratungsstelle. Auf beiden Wegen kannst du dich jemandem (anonym) anvertrauen und Unterstützung finden.

Nun hast du eine Menge Informationen zum Stalking im Arbeitskontext erhalten, um dich für das Thema zu sensibilisieren. Möchtest du mehr über Stalking und den hiermit bezogenen Perspektiven sowie mögliche Handlungs- und Schutzmaßnahmen erfahren? Dann findest du hier in der Mediathek weitere Interviews und Beiträge, die sich mit diesen Themen beschäftigen.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
Kassel

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