Sexuelle Belästigung: Handlungsempfehlungen

Interview
Wie kann ich effektiv reagieren, wenn ich eine körperliche Grenzüberschreitung und sexuelle Belästigung erfahre? Und wie kann ich als außenstehende Person handeln, wenn ich eine Belästigung bei einer anderen Person mitbekomme? In diesem Interview mit der ehemaligen Kriminalkommissarin Ulrike Leimanzik werden diese und weitere Fragen beantwortet.
Bist oder warst du von sexueller Belästigung betroffen – oder kennst eine akut betroffene Person? Dann kontaktiere die hier hinterlegten psychologischen Ansprechpersonen oder eine externe Beratungsstelle, wenn du mit jemandem (anonym) sprechen möchtest. Beachte bitte außerdem, dass in diesem Gespräch Täter:innen oft in männlicher und Betroffene in weiblicher Form angesprochen werden. Trotzdem gibt: Jedes Geschlecht kann sowohl Täter:in, als auch Opfer sein – alle Kombinationen sind möglich.

Sie haben als Kriminalkommissarin vor allem im Bereich Sexualdelikte und -prävention gearbeitet. Können Sie aus Ihrer Erfahrung vielleicht ein paar Szenarien beschreiben, die Sie besonders häufig erlebt haben?

Das war während der Präventionszeit, wo ich Leiterin der Präventionsdienststelle war, da habe ich mit einer Kollegin Selbstsicherheitstrainings für Frauen gegeben. Das waren einmal offene Gruppen, dass Frauen, egal welchen Berufes, sich melden konnten. Wir hatten aber auch feste Gruppen, zum Beispiel Krankenschwestern aus Krankenhäusern. Und da habe ich wirklich noch die Erinnerung, dass ich da mehr als erschrocken war, als Krankenschwestern mir erzählt haben, was sie alles einstecken mussten und müssen und keine Möglichkeit haben, sich da zu beschweren, weil sowohl Pflegedienstleitungen als auch leitende Ärzte, Vorgesetzte gesagt haben: „Der Patient ist König und das gehört eben einfach zum Beruf.” Und da muss ich ganz deutlich sagen: Zu keinem Beruf gehört es, sexuelle Belästigungen zu ertragen. Und das ist wirklich ein Skandal, dass Vorgesetzte das immer noch von ihren Nachgeordneten erwarten, weil eben andere Ziele so im Vordergrund stehen, wie beim Krankenhaus eben das finanzielle Ziel, Hauptsache der Patient ist zufrieden. Und da habe ich viele Gespräche geführt und nach einiger Zeit hat sich so langsam etwas bewegt und die Krankenschwestern bekamen dann doch mehr Unterstützung.

Als Sie von „Der Kunde ist König” gesprochen haben, liegt die Assoziation zum Gastronomie-Bereich nahe, wo sich das Personal generell freundlich und neutral den Kund:innen gegenüber verhalten muss.

Ja, wahrscheinlich überall da, wo Geld verdient wird, steht das Geld im Vordergrund und die Menschen, die eben dazu beitragen sollen, dass das Geld reinkommt, die sollen alles über sich ergehen lassen und das ist nicht richtig. Das kann auch so nicht sein.

Das heißt, es gibt gar keine klare Trennlinie, zu entscheiden, ob noch eine freundliche Ermahnung oder eine direktere Reaktion kommuniziert werden sollte?

Natürlich ist es sehr, sehr schwierig. Theoretisch kann man immer, egal ob die Situation im Beruf ist oder privat, rigoros sofort „Stopp!” sagen. Das ist immer, je nachdem auch, welche Stellung man im Beruf hat, ist es sehr schwer, da so konsequent zu sein. Und da kann ich nur sagen, wenn da so eine junge Kollegin, ein junger Kollege das Gefühl hat, er wird von dem Kunden, von dem Gast zu sehr belästigt und bedrängt, sich dann wirklich Freunden anzuvertrauen oder auch zu einer Beratungsstelle zu gehen, um sich da dann Unterstützung und Hilfe zu holen. Das Schlimmste, auch in dem Fall ist, wenn das jeder in sich hineinfrisst, nicht darüber redet und dann wird das Leid nie weggehen, sondern immer schlimmer werden.

Würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus sagen, das sind schon die Situationen, die am häufigsten vorkommen, oder gibt es noch andere Szenarien, die Ihnen häufig begegnet sind?

Ja, es gibt so viele Szenarien und schwierig ist es eben tatsächlich, wenn so eine Abhängigkeit da ist. Jetzt vor kurzem noch habe ich gehört, dass ein Dozent einer Hochschule ein Strafverfahren bekommen hat, weil er Student:innen über lange Zeit sexuell belästigt hat. Und da ist eben auch eine Abhängigkeit zwischen Student und dem Dozenten oder in einer Firma, die Mitarbeiter und Vorgesetzten. Immer da, wenn so ein Abhängigkeitsverhältnis ist, was man weiß und das möchte man auch nicht gefährden, denn das ist ja der Beruf, mit dem man Geld verdienen will. Und wenn man dann eben belästigt wird und es erfolgt auch die Drohung: „Halt bloß die Klappe, sonst verlierst du deinen Job!”, ist es natürlich schwierig, sich darüber hinwegzusetzen, sich dann trotzdem Hilfe zu holen und dagegen vorzugehen.

Was würden Sie denn jetzt speziell in dieser Situation für Handlungsempfehlungen geben, um damit umzugehen?

Also, ich kann nach wie vor nur sagen: Nicht sich isolieren lassen und darüber reden, um dann wirklich mit einem anderen Kollegen, mit einer Kollegin gemeinsam überlegen, wenn man dann vielleicht auch hört, man ist gar nicht der Einzige, sondern dass es anderen auch passiert. Gemeinsam überlegen: „Welche Schritte können wir machen?” Große Betriebe haben Betriebsräte, Personalräte, die sich auch mit dem Thema beschäftigen sollten. Dass man dann da hingeht, also man muss einfach gucken, dass man ganz viele Leute so auf seine Seite zieht, weil man dann besser kämpfen kann und weil man dann anfängt, den Täter zu isolieren.

Wenn wir uns eine Situation anschauen, wo es zu anfänglichen Grenzüberschreitungen kommt. Wie würden Sie da empfehlen, damit umzugehen?

Also, schon die erste Situation, die sollte man ablocken. Ich weiß noch, dass eine Krankenschwester mir gesagt hat, sie war neu auf der Station und zur Besprechung morgens im Stationszimmer kam dann der Chefarzt und hat alle umarmt zur Begrüßung. Sie wollte das nicht. Und da habe ich sie ermutigt, gesagt: „Dann sagen Sie das ganz deutlich.” Und das kann man zunächst auch noch freundlich sagen. Und das hat sie dann auch getan und er hat es dann akzeptiert. Das heißt, sobald eine Situation ist, die ich so nicht will, die muss ich nicht ertragen. Dann muss ich gucken, ob ich da laut werde oder ob ich vielleicht weggehe. Manchmal kann man auch schon mit Blicken jemanden wirklich auf Abstand halten, dass der weiß: „Oh ne.”

Ist es wichtig, das immer so deutlich zu kommunizieren oder reicht es, immer zu versuchen, sich aus der Situation herauszuwinden?

Das hängt davon ab, wie stark jemand ist. Eine gute Körpersprache hilft in ganz vielen Situationen, dass man sich nicht klein macht und nicht zeigt, dass man betroffen ist und das ganz schrecklich findet, sondern dass man sich aufrichtet und demjenigen ganz klar, ja auch in die Augen guckt: „Ne, will ich nicht.”

Gibt es so eine bestimmte Grenze, ab der Sie sagen würden, dass man auf jeden Fall laut oder sehr deutlich werden sollte?

Wenn derjenige nicht reagiert, wenn der auf die Körpersprache, auf die Blicke nicht reagiert, dann sollte man sagen: „Nein.” Oder auch in einer Situation, wo diese Belästigung ganz plötzlich kommt, wenn man auf einmal die Hand am Hintern spürt, da kann man sagen: „Nehmen Sie die Hand von meinem Po!” Aber das kostet natürlich Überwindung, so laut zu werden, vor allen Dingen in der Öffentlichkeit, wenn man irgendwo im Bus ist. Und da sagen dann viele: „Ja, das ist vielleicht Zufall.” Natürlich im Gedränge kann es schonmal sein, dass so eine Hand an meinem Po vorbei streicht, aber das merke ich sofort, ob die Hand sekundenlang vielleicht doch bleibt und das es gezielt, bewusst ist oder ob es im Vorbeidrängeln versehentlich passiert ist. Und wenn ich das merke, dann ist es gut, wenn ich dann ganz laut sage: „Ich will das nicht, berühren Sie mich nicht!”

Weil Sie es gerade angesprochen haben, kann eine sexuelle Belästigung denn zufällig, aus Versehen passieren?

Nein. Man muss es so sehen: Zuerst kommen die Grenzverletzungen, Übergriffe und dann die Straftaten. Und so eine Belästigung ist schon so eine Grenzverletzung. Natürlich gibt es Grenzverletzungen, die können versehentlich passieren. Wenn ich es eilig habe, will aber einem Kollegen noch was sagen, platze in sein Büro, ohne anzuklopfen. Oder derjenige steht gerade da und ich komme von hinten, will noch schnell was sagen und umfasse ihn irgendwie so. Dann ist es eine Grenzverletzung, weil ich ohne zu fragen jemanden angefasst habe. Aber so eine sexuelle Grenzverletzung, so eine sexuelle Belästigung, das ist ja schon so die Zielrichtung und die ist nie versehentlich.

Das heißt, eine sexuelle Belästigung wird auch dadurch definiert, dass es gewollt ist?

Ja.

Was würden Sie denn allen Personen, unabhängig davon, ob eine einmalige Belästigung stattgefunden hat oder eine mehrfache Belästigung, immer empfehlen?

Über das Thema reden. Denn das ist überhaupt die beste Prävention, wenn alle informiert sind, sehen die viel mehr, als wenn sie von dem Thema überhaupt nichts wissen. Also das ist das, was wirklich für alle gilt. Wenn man über das Thema redet, dann erkenne ich vielleicht, dass meine junge Kollegin belästigt wird von einem älteren Kollegen oder der junge Kollege von der älteren Kollegin, auch das passiert. Das würde ich nicht erkennen, wenn ich nicht wüsste, um was es geht.

Weil Sie das gerade noch angesprochen hatten: Können Sie sagen, wie ich darauf reagieren sollte, wenn ich eine sexuelle Belästigung bei einer anderen Person mitbekomme?

Sich an das Opfer wenden und dann sagen: „Du, ich habe das gesehen, brauchst du Hilfe, ich stehe dir bei”, denn das ist für den Belästiger sofort das Signal „Ui, da bin ich jetzt ertappt und das hat man gesehen.” Und das Opfer ist nicht mehr alleine, das kriegt er oder sie ja dann auch mit.

Gibt es noch irgendetwas anderes, was Sie uns heute zum Schluss mitgeben möchten?

Ja, sich einfach Gedanken machen, denn jeder hat mal eine Situation erlebt, wo man im Nachhinein dann sagt: „Ui, da bin ich ja belästigt worden.” Und jeder kann sich mit Sicherheit auch noch an das mulmige Gefühl erinnern, auch wenn man die Situation lange vergessen hat. Aber wenn man plötzlich wieder daran denkt, dann hat man auch wieder die Gefühle, die man damals hatte. Und das sollte wirklich ein Signal sein, dass ich allen Menschen, die belästigt werden, wo ich das dann mitkriege, beistehe.

Das waren ein paar erste Möglichkeiten und Hinweise, wie Betroffene und Außenstehende in Situationen, in denen eine sexuelle Belästigung stattfindet, reagieren können. Wenn du dich über dieses Gespräch hinaus mit diesem Thema auseinandersetzen möchtest, informiere dich gerne in den weiteren Interviews und Beiträgen hier in der Mediathek.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
Kassel

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